Links und frei by Brandt Willy

Links und frei by Brandt Willy

Autor:Brandt, Willy [Brandt, Willy]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-15T00:00:00+00:00


Ende und neuer Anfang

Als Katalonien zusammenbrach und sich ein Massenstrom von Flüchtlingen über die Pyrenäen ergoß, erlebte Madrid noch einen schrecklich opferreichen Ausbruch der Verzweiflung, bevor Franco am 28. März 1939 seinen Einzug hielt. Anders, als viele annehmen, habe ich die Hauptstadt zum erstenmal 1976 kennengelernt. Spanien blieb mir nah, doch ich mochte zu Francos Zeiten nicht in das Land reisen, mit dem mich so viele beschwerende Erinnerungen – und so viele Hoffnungen verbanden. Die einzige Ausnahme war 1969: Der Arzt hatte empfohlen, einen langen Flug zu vermeiden. So buchte ich meine einzige Schiffsreise nach den USA: von Neapel bis Halifax. Halbtägige Zwischenaufenthalte in Malaga und in Lissabon zeigten mir: Die iberische Welt begann sich zu verändern.

Lange nahm ich an, der Spanienkrieg habe 600 000 oder mehr Todesopfer gefordert. In den letzten Jahren hat die Madrider Regierung diese Zahlen korrigiert: 440 000 Tote, davon 126 000 durch politischen Mord und 285 000 durch die Verluste der kämpfenden Truppe; den Rest machten Opfer der Zivilbevölkerung aus. Fast eine halbe Million Soldaten und Zivilisten waren in Frankreich interniert.

Gurs, im Vorland der Pyrenäen, war eines der ersten Lager für geflüchtete Spanier. (Später wurden in Gurs deutsche Emigrantenfrauen interniert, danach brachte man 6000 badische Juden, auch solche aus der Pfalz und dem Saarland, dorthin, und im Sommer 1944 wurde es schließlich ein Lager für französische Kollaborateure.) Augenzeugen berichten: »Man hatte diese Scharen von abgekämpften Männern, von halb verhungerten Frauen und Kindern, die im Januar 1939 über die französische Grenze fluteten, auf einigen Plätzen der Mittelmeerküste zusammengetrieben und einen Stacheldraht um sie gezogen. Da saßen sie auf dem Strand im Sand, in Kälte und Regen, ohne Dach über dem Kopf, ohne Küche, ohne die geringste hygienische Einrichtung ...« Ein deutscher Angehöriger der Brigaden schrieb: »Plötzlich, auf einem Dorfplatz, entdeckten wir ein großes frisch gemaltes Schild: ›Au Camp de concentration!‹ Zum Konzentrationslager! Also nicht wie Veteranen eines Freiheitskriegs behandelte uns die französische Regierung, sondern wie Sträflinge, die nach Cayenne verschifft werden! Welch bittere Enttäuschung!«

Tausende von »Rotspaniern«, die man nicht an Franco ausgeliefert hatte, wurden in deutschen Lagern zu Tode gebracht. 7200 von ihnen waren allein im KZ Mauthausen registriert; umgekommen sind in deutschen Lagern rund 8000 »Rotspanier«. Auch viele von denen, die in die Sowjetunion gelangt waren, gerieten in Not. Die Führerschaft der spanischen KP wurde in der großen »Säuberung« des Apparats der Komintern dezimiert. Viele der einfachen Leute wurden nach Zentralasien oder in andere entlegene Regionen deportiert.

Gibt es eine Gnade der geschichtlichen Distanz? Man konnte später erkennen, erst aus der Entfernung, dann an Ort und Stelle: Die Spanier wollen keinen neuen Bürgerkrieg. Ich erlebte in Madrid, daß der König nicht anders als die Führer der Sozialisten den Blick nach vorn richtete. Damit waren die Gefahren für die spanische Demokratie noch nicht gebannt. Aber sie sind heute anderer Natur als in Henry Kissingers Zwangsvorstellungen über den »Vormarsch des Marxismus«.

In der Bundesrepublik dauerte es lange, bis sachlich über »Rotspanien« geredet werden konnte. Erst im Sommer 1972 – sofern sie ihren Wohnsitz im Ausland hatten, erst im Mai



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.